Lokale Innovation in globalen Märkten: Kenias Silicon Savannah als Entwicklungsmodell
- Arian Okhovat Alavian
- 31. Juli
- 10 Min. Lesezeit

Mit der geplanten Verlagerung der globalen Büros von UNICEF, UN Women und UNFPA von New York nach Nairobi bis Ende 2026 wandelt sich Nairobi rasch zu einem zentralen internationalen Standort. Die Stadt reiht sich damit neben New York, Genf und Wien als eine von nur vier Metropolen ein, die mehrere UN-Hauptquartiere beherbergen. Dieser Schritt ist Teil der umfassenderen UN@80-Reform, die darauf abzielt, Kosten zu senken und Entscheidungsprozesse näher an die Regionen zu bringen, denen sie dienen soll.
Nairobi wandelt sich, leise, aber grundlegend, von einer ostafrikanischen Hauptstadt zu einer Stadt mit internationaler Strahlkraft. Kenias Ruf als „Silicon Savannah“ steht für eine Form der Innovation, die im lokalen Kontext verwurzelt ist, aus der Gemeinschaft heraus entsteht und auf Dauer angelegt ist.
Die meisten Menschen verbinden Kenia mit spektakulären Safaris, Weltklasse-Marathonläufern und der mobilen Geldrevolution durch M-Pesa. Was dabei oft übersehen wird: Das Land entwickelt sich rasant zu Afrikas „Silicon Savannah,“ einem lebendigen Zentrum für KI-Innovation, gemeinwohlorientierte Initiativen und zukunftsgerichtete Regulierung. Und das ist kein Zufall. Kenia vereint eine technikaffine junge Bevölkerung mit der Erfahrung technologischer Entwicklungssprünge (wie z.B. mit mobilem Zahlungsverkehr in 2007) und einem nüchternen, zugleich zukunftsoffenen Blick auf die Potenziale und Risiken Künstlicher Intelligenz.
Ein genauer Blick lohnt sich nicht nur wegen Kenias beeindruckender digitaler Entwicklung, sondern auch wegen der grundsätzlichen Fragen, die sich daran anschließen: Wie lässt sich Hightech-Innovation in einer Volkswirtschaft des globalen Südens fördern? Wie stellt man sicher, dass Künstliche Intelligenz lokalen Bedürfnissen und Gemeinschaften dient? Und wie gelingt der Ausgleich zwischen technologischem Ehrgeiz und sozialer Teilhabe? Kenias Erfahrung liefert dazu bemerkenswerte Antworten.
Wurzeln eines afrikanischen Tech-Ökosystems
Kenia gilt als wirtschaftliches Schwergewicht Ostafrikas und wird nicht ohne Grund als „Silicon Savannah“ bezeichnet. Der Spitzname ist verdient: Nairobis dynamische Technologieszene, von Fintech-Pionieren bis zu KI-Start-ups, zieht internationale Aufmerksamkeit und Investitionen an. Die Internetanbindung ist zwar nicht flächendeckend, wächst aber rasant: Rund 40,8 % der kenianischen Bevölkerung sind im Jahr 2025 (bzw. 2024) online, vor allem über mobiles Breitband. Der Smartphone-Anteil liegt je nach Schätzung zwischen 60 und 80 Prozent und bringt digitale Dienste in Millionen Hände.
Entscheidend ist: Kenia gehörte zu den frühen Anwendern mobiler Technologien. Die mobile Bezahlplattform M-Pesa startete hier bereits 2007 und machte Finanzdienstleistungen erstmals einer breiten Bevölkerung zugänglich. Diese Erfahrung, alte Infrastrukturen zu überspringen, etwa Festnetzanschlüsse zugunsten des Mobile Bankings legte den Grundstein für eine breite Akzeptanz neuer Technologien, wozu auch KI gehört.
Ein weiteres Fundament von Kenias Technologieentwicklung ist das robuste Innovationsökosystem. Tech-Hubs und Inkubatoren wie das iHub in Nairobi fördern seit über einem Jahrzehnt Start-ups und auch internationale Technologiekonzerne sind vor Ort präsent. IBM eröffnete 2013 sein erstes Afrikanisches Forschungslabor in Nairobi und arbeitet seither an KI-Lösungen für Gesundheitswesen, Landwirtschaft und andere Bereiche. Auch Microsoft gründete in Kenia sein Africa Development Center und beschäftigt lokale Entwickler:innen, die an KI- und Cloud-Projekten für den Kontinent arbeiten. Diese Mischung aus wachsender Infrastruktur, internationaler Forschung und einer technikaffinen Bevölkerung macht Kenia zu einem idealen Erprobungsraum für Künstliche Intelligenz im afrikanischen Kontext.
Ein Wendepunkt in der Selbstwahrnehmung kam Ende der 2010er-Jahre. 2018 berief die kenianische Regierung eine nationale Taskforce zu Künstlicher Intelligenz und Blockchain ein (eine der ersten dieser Art auf dem afrikanischen Kontinent). Ziel war es, einen strategischen Umgang mit diesen aufkommenden Technologien zu entwickeln. Auslöser waren globale Entwicklungen und womöglich auch die Warnsignale aus den Wahlen 2017, als Cambridge Analytica gezielt in den kenianischen Wahlkampf eingriff und damit die Macht von Daten und Algorithmen schlagartig sichtbar machte. Die Botschaft der Taskforce war eindeutig: Auch Kenia sollte KI nicht nur konsumieren, sondern mitgestalten und dabei Innovation mit Schutzmechanismen in Einklang bringen. Diese frühe Selbstreflexion ebnete den Weg für die umfassenderen Initiativen, die heute sichtbar werden.
Alltägliche Intelligenz: Wie KI in Kenia lokalen Nutzen stiftet
Was andernorts noch im Pilotstatus verharrt, wird in Kenias dynamischer Wirtschaft und Zivilgesellschaft längst erprobt. Künstliche Intelligenz begegnet hier konkreten afrikanischen Herausforderungen:
Gesundheit: In einem Umfeld begrenzter Ressourcen hilft KI, medizinische Versorgung zu verbessern. Ilara Health stellt Kliniken erschwingliche Diagnostikgeräte zur Verfügung, die mithilfe von KI und Robotik Ergebnisse analysieren und Kosten für Patient:innen senken. Afyarekod wiederum nutzt KI zur Verwaltung von Gesundheitsdaten und unterstützt Ärzt:innen mit datenbasierten Einblicken. Diese lokal entwickelten Lösungen mildern den Mangel an medizinischem Personal. Dies ist besonders in ländlichen Gebieten ein entscheidender Faktor.
Landwirtschaft: Als Rückgrat der kenianischen Wirtschaft wird die Landwirtschaft zunehmend technologisch gestützt. Apollo Agriculture etwa nutzt Machine Learning auf Basis von Satellitendaten, Bodenanalysen und Wetterprognosen, um Kleinbäuer:innen zu beraten und gezielt Kredite und Versicherungen anzubieten. Start-ups wie UjuziKilimo kombinieren IoT-Sensoren mit KI-Auswertung und senden per SMS konkrete Empfehlungen (vom Bodenstatus bis zur Schädlingsbekämpfung). Das Ergebnis: höhere Erträge und mehr Resilienz gegenüber dem Klimawandel.
Finanzen und Inklusion: Aufbauend auf dem Erfolg mobiler Bezahlsysteme eröffnet KI neue Wege zur finanziellen Teilhabe. Dienste wie 4G Capital oder Tala nutzen KI-Algorithmen, um alternative Datenquellen, von Handy-Nutzung bis Social Media, auszuwerten und binnen Minuten Mikrokredite an Menschen ohne formelle Kreditgeschichte zu vergeben. Das erschließt Millionen Menschen den Zugang zu Finanzdienstleistungen. Wirft aber zugleich Fragen nach Datenschutz und algorithmischer Fairness auf.
Sicherheit und Naturschutz: Auch der Schutz bedrohter Arten profitiert von KI. In Nationalparks kommen smarte Kameras mit KI-Auswertung zum Einsatz, die Menschen, Fahrzeuge und Tiere unterscheiden können und damit Ranger in Echtzeit alarmieren. In einigen Schutzgebieten sind die Wilderei-Vorfälle dadurch auf null gesunken. Ein hochpräziser Technikeinsatz zum Erhalt der biologischen Vielfalt.
Rettung und städtische Dienste: In den Städten optimieren Start-ups wie Flare mithilfe KI-basierter Dispatch-Algorithmen die Koordination von Notfalldiensten und verkürzen so Reaktionszeiten. Erste Pilotprojekte zu „Smart City“-Lösungen reichen von KI-gestützter Verkehrssteuerung in Nairobis notorischen Staus bis hin zu Chatbots, die Bürger:innen durch Verwaltungsprozesse lotsen. Der öffentliche Sektor beginnt, gemeinsam mit lokalen Tech-Firmen, digitale Lösungen für urbane Herausforderungen zu erproben.
Kenianische KI-Innovationen sind selten selbstzweckhaft, sondern adressieren reale Bedürfnisse. Ob Krebsdiagnose in der Landklinik, Mikrokredit für Marktstände oder Wildhüter aus dem Algorithmus. KI in Kenia zeigt, was möglich ist, wenn Technologie pragmatisch, gemeinwohlorientiert und kontextsensibel eingesetzt wird.
Technologie mit Verantwortung: Kenias Umgang mit den Grenzen von KI
Kenia zeigt, dass ein Land Künstliche Intelligenz nicht nur nutzen, sondern auch aktiv gestalten kann. Tatsächlich hat sich Kenia zu einem regionalen Vorreiter in Fragen der KI-Ethik und Regulierung entwickelt. Ein Meilenstein war 2019 die Verabschiedung des Datenschutzgesetzes, wie auch in vielen anderen Ländern unserer AI Around the World Reihe eng angelehnt an die europäische DSGVO. Es sichert Kenianer:innen umfassende Datenschutzrechte zu, darunter das Recht, nicht ausschließlich automatisierten Entscheidungen unterworfen zu werden, die sie wesentlich betreffen. Das bedeutet: KI-Systeme, die über Einstellungen, Kredite oder andere sensible Fragen entscheiden, unterliegen rechtlicher Kontrolle und müssen Fairness gewährleisten. Kenia war eines der ersten afrikanischen Länder, das solche Grundsätze gesetzlich verankert hat.
Darauf aufbauend hat die kenianische Regierung im März 2025 eine umfassende National AI Strategy (2025–2030) vorgestellt, die die nächste Entwicklungsphase leiten soll. Die Strategie ist kein Gesetz, formuliert aber eine klare Vision: Künstliche Intelligenz soll ethisch, inklusiv und innovationsorientiert gestaltet werden und zwar mit konkreten Maßnahmen. Im Fokus stehen Anwendungen in Bereichen wie Gesundheit, Landwirtschaft, Finanzwesen, Bildung und öffentliche Verwaltung. Zugleich adressiert die Strategie grundlegende Voraussetzungen: den Ausbau der Dateninfrastruktur und Cloud-Kapazitäten, die Ausbildung von KI-Fachkräften sowie eine Modernisierung der Regulierung, insbesondere für Hochrisiko-Anwendungen.
Auffällig ist das normative Fundament: Fairness, Transparenz, Menschenrechte und ein „Local-first“-Ansatz bei Daten. Globale Prinzipien werden nicht einfach übernommen, sondern bewusst in die kenianische Realität übersetzt. Kenia will KI, die für Kenianer:innen entwickelt wird. Der Import intransparenter Black-Box-Modelle ohne Kontextbezug soll damit gezielt vermieden werden.
Regulatorische Innovation findet in Kenia auf mehreren Ebenen statt. Die nationale Normungsbehörde veröffentlichte 2024 einen Entwurf für einen AI Code of Practice, einen Leitfaden für Unternehmen zur verantwortungsvollen Entwicklung Künstlicher Intelligenz - ähnlich in Teilen dem EU AI Code of Practice, mit Empfehlungen zu Transparenz, Risikobewertung und Absicherung. Parallel dazu brachte eine zivilgesellschaftliche Initiative 2023 einen privaten Gesetzentwurf zu Robotik und KI ein, der ein umfassendes Regulierungsrahmenwerk vorschlägt - bislang allerdings ohne formelle Unterstützung durch die Regierung. In Kenia wird aktiv darüber diskutiert, wie sich die Potenziale von KI ausschöpfen lassen, ohne die Rechte der Bürger:innen zu gefährden. Das Land orientiert sich dabei an internationalen Standards, etwa jenen der EU oder der OECD, achtet aber zugleich auf kontextgerechte Umsetzung. Ein zentrales Thema ist dabei die Datensouveränität: Wo möglich, sollen kenianische Daten in kenianischen Systemen verbleiben.
Auch in Kenia verlief die Entwicklung nicht ohne Reibung und Kontroversen. Ein besonders aufsehenerregender Fall wurde 2023 bekannt: Eine Outsourcing-Firma in Nairobi war damit beauftragt, toxische Inhalte für OpenAIs ChatGPT zu kennzeichnen und das für weniger als zwei Dollar pro Stunde.
Die Nachricht, dass kenianische Arbeitskräfte gewissermaßen das unsichtbare Rückgrat eines globalen KI-Modells bildeten, löste eine breite Debatte aus. Über Ausbeutungsrisiken entlang der globalen KI-Wertschöpfungskette.
Der Vorfall war ein Weckruf für die Notwendigkeit ethischer Arbeitsbedingungen in der KI-Industrie und für eine stärkere Teilhabe afrikanischer Arbeitskräfte an der geschaffenen Wertschöpfung. Dieses Thema ist inzwischen auch in der kenianischen Politik angekommen. Eine weitere Kontroverse entzündete sich am Einsatz KI-basierter Überwachungstechnologien: Die Einführung von „Smart City“-Kamerasystemen ausländischer Tech-Konzerne stieß bei Bürgerrechtsgruppen auf Kritik. So behauptete Huaweis KI-gestütztes CCTV-Netzwerk in Nairobi, die Kriminalität fast halbiert zu haben. Zeitgleich wurden jedoch Bedenken laut: etwa über mögliche Missbräuche oder Verzerrungen durch fehlerhafte Gesichtserkennung. Die kenianische Zivilgesellschaft betont seither deutlich: Sicherheit darf nicht auf Kosten verfassungsrechtlich garantierter Privatsphäre gehen. Der öffentliche Druck hat die Regierung dazu veranlasst, in diesem Bereich mit mehr Vorsicht vorzugehen.
Diese Debatten über Datenschutz, KI-Arbeit, Überwachung und algorithmische Verzerrung waren letztlich tatsächlich fruchtbar. Sie haben verdeutlicht: Vertrauen in Künstliche Intelligenz muss erarbeitet werden, ähnlich wie in Südkorea. Kenias Reaktion war in vielen Fällen bemerkenswert lernbereit und adaptiv: Wenn etwas schieflief, etwa ein Chatbot, der Privatsphäre verletzte, oder der Missbrauch personenbezogener Daten im Wahlkontext folgten öffentliche Proteste, regulatorische Eingriffe und neue Schutzmechanismen.
Kurz gesagt: Kenias bisheriger Umgang mit KI zeigt eine beachtliche Fähigkeit zur Selbstkorrektur. Das Land will nicht zulassen, dass eine unregulierte „Wildwest-KI“ das Vertrauen der Bevölkerung untergräbt. Heute fällt Kenia durch eines der klarsten Governance-Rahmenwerke für KI in der Region auf. Auch wenn an vielen Stellen weiter nachgeschärft wird.
Weichenstellung für morgen: Kenias Sprung in die KI-Zukunft
Kenias Kurs in Sachen KI zeigt klar nach oben. Die Ambition der Regierung ist unmissverständlich: Das Land will sich als führendes Zentrum für KI-Innovation in Afrika etablieren. Und das idealerweise als regionale Leitnation. Dazu laufen bereits zahlreiche Initiativen. Die Nationale KI-Strategie 2025–2030 definiert sieben zentrale Handlungsfelder. Beispielsweise massive Investitionen in digitale Infrastruktur, wie landesweites Hochgeschwindigkeitsinternet und der Aufbau lokaler Rechenzentren, die Förderung eigenständiger KI-Forschung und die Ausbildung einer neuen Generation von Fachkräften.
Gerade der Kompetenzaufbau steht im Fokus: KI- und Datenkompetenz sollen künftig in weiterführenden Schulen und Hochschulen verankert werden. Zudem sind Umschulungsprogramme für Berufstätige geplant, um den Übergang in KI-orientierte Tätigkeiten zu ermöglichen. Eine Initiative sieht vor, dass in den kommenden Jahren über eine Million Kenianer:innen zumindest eine grundlegende Ausbildung in KI oder Datenanalyse erhalten.
Besonders eindrücklich ist die Breite der Investitionen, mit denen Staat und Privatwirtschaft gemeinsam das Rückgrat für Künstliche Intelligenz aufbauen. Ein Beispiel: Safaricom, der führende Telekommunikationsanbieter des Landes, hat kürzlich ein Investitionsprogramm in Höhe von 500 Millionen US-Dollar vorgestellt, um die KI-Infrastruktur in Ostafrika auszubauen. In den kommenden drei Jahren sollen neue Rechenzentren, Cloud-Kapazitäten und Edge-Computing-Knoten entstehen. Parallel dazu entwickelt das Unternehmen KI-Anwendungen für Schlüsselbranchen wie Landwirtschaft, Gesundheit und Finanzwesen.
Bemerkenswert ist auch die interne Transformation: Bereits 5.000 Safaricom-Mitarbeitende wurden in grundlegenden KI-Kompetenzen geschult, denn Safaricom versteht sich als Mitgestalter und Treiber regionaler KI-Innovation. Dieses Engagement der Privatwirtschaft ergänzt staatliche Programme und unterstreicht: Kenia setzt gezielt darauf, dass Künstliche Intelligenz, ähnlich wie der Mobilfunk in den 2000er-Jahren, zum wirtschaftlichen Wachstumsmotor wird.
Auch auf der Hardware-Seite betritt Kenia inzwischen Felder, die noch vor wenigen Jahren kaum denkbar gewesen wären. In Partnerschaft mit den USA plant das Land den Bau der ersten Halbleiterfabrik Ostafrikas. Auf kenianischem Boden. Zwar konzentriert sich das Vorhaben zunächst auf sogenannte Legacy-Chips, doch das Projekt (Teil der „Silicon Savannah“-Vision) soll langfristig den Aufbau eines eigenständigen Elektronik-Ökosystems ermöglichen, das künftig auch KI-Hardware lokal bereitstellen könnte. Ein ambitioniertes Signal für digitale Souveränität: Kenia, wie beispielsweise wir hier in Deutschland und Europa, will sich technologisch nicht vollständig von Importen abhängig machen.
Natürlich bleiben die Herausforderungen erheblich, denn Kenia muss sich im globalen Wettlauf um Künstliche Intelligenz behaupten und das aus der Perspektive eines Landes mit mittlerem Einkommen.
Die Bindung von Spitzenkräften zählt zu den zentralen Herausforderungen. Nairobis beste KI-Ingenieur:innen stehen im Fokus internationaler Tech-Konzerne. Umso wichtiger ist es, attraktive lokale Perspektiven zu schaffen, um einem Brain Drain entgegenzuwirken.
Zugleich nimmt der Wettbewerb zu: Auch Länder wie Nigeria, Südafrika und Ägypten investieren massiv in Künstliche Intelligenz und ringen um die technologische Führungsrolle auf dem Kontinent. Kenia wird kontinuierlich innovativ bleiben müssen, um seine Position als bevorzugter Standort für KI-Forschung und -Investitionen in Afrika zu behaupten. Eine weitere Herausforderung ist die digitale Kluft zwischen Stadt und Land: Noch immer ist rund die Hälfte der Bevölkerung offline - ein deutlicher Kontrast etwa zu Ländern wie Saudi-Arabien.
Wenn KI-Lösungen primär urbanen Räumen zugutekommen, drohen bestehende Ungleichheiten weiter zu wachsen. Die Nationale KI-Strategie benennt dieses Risiko explizit und setzt weiterhin auf Inklusion: Künstliche Intelligenz soll nicht nur den Tech-Zentren nützen, sondern zur Entwicklung des gesamten Landes beitragen.
Auch Regulierung bleibt ein Balanceakt. Mit wachsender Verbreitung von KI-Anwendungen steht Kenia vor der Aufgabe, Regeln flexibel zu halten, ohne Innovation zu bremsen. Globale Entwicklungen wie der EU AI Act werden genau beobachtet; Ziel ist eine regionale Harmonisierung, etwa über die Afrikanische Union oder die Ostafrikanische Gemeinschaft.
Gerade darin liegt eine Chance: Gelingt Kenia ein klarer, innovationsfreundlicher Ordnungsrahmen, könnte das Unternehmen anziehen, die stabile Bedingungen für KI-Tests in Afrika suchen.
Kurzum: Die kommenden Jahre versprechen eine anspruchsvolle Gratwanderung zwischen Wachstum und Verantwortung. Gelingt sie, könnte Kenia nicht nur einzelne Industrieländer überholen, sondern auch zeigen, wie Länder des globalen Südens ihre eigene KI-Zukunft gestalten können.
Was wir aus Kenias KI-Weg lernen können
Kenia zeigt: Man muss kein globaler Machtfaktor sein, um Künstliche Intelligenz mitzugestalten. Eine klare Vision, lokales Talent und gesellschaftliche Einbindung reichen weit. Die Erfahrungen des Landes liefern zentrale Einsichten, die auch anderswo Orientierung geben können:
Leapfrogging ist real: Kenia hat seine Stärken (bspw. weit verbreitete Nutzung mobiler Technologien) gezielt genutzt, um den Einstieg ins KI-Zeitalter nach eigenen Bedingungen zu gestalten. Auch andere Länder können auf bestehenden Ressourcen aufbauen, sei es ein dynamischer Technologiesektor oder eine branchenspezifische Expertise, um kontextgerechte KI-Lösungen zu entwickeln, anstatt spät importierte Standardmodelle zu übernehmen.
Gemeinschaft und Teilhabe zählen: Ein zentrales Alleinstellungsmerkmal Kenias ist seine lebendige Tech-Community von lokalen Meetups wie AI Kenya bis hin zu kontinentalen Netzwerken wie der Deep Learning Indaba, die 2019 in Nairobi stattfand. Diese Bottom-up-Energie verhindert, dass KI-Entwicklung zur Domäne großer Konzerne oder exklusiver Forschungskreise wird. Stattdessen wird KI zum Gemeinschaftsprojekt mit Studierenden, Start-ups und Nutzer:innen als Mitgestaltende. Der Fokus auf lokale Sprachen und konkrete Alltagsprobleme, z.B. KI für Swahili oder gegen Pflanzenkrankheiten.
Kenya shows that you don’t have to be a global superpower to meaningfully shape AI.
Innovation braucht Regeln: Kenia widerlegt das Klischee, dass Regulierung Innovation abwürgt. Im Gegenteil: Durch frühe Leitlinien zu Ethik, Datenschutz und Rechenschaft hat das Land Vertrauen geschaffen – und damit die Akzeptanz von KI gestärkt. Klare Regeln zu Privatsphäre, Verantwortung und Sicherheit sind hier kein Hindernis, sondern Voraussetzung für technologischen Fortschritt. Ein Punkt, den auch europäische Regulierer oft betonen – und den Kenia jenseits der westlichen Bubble praktisch belegt.
Pragmatismus statt Hochglanz: Vielleicht die stärkste Lehre: Kenias Umgang mit knappen Ressourcen. Mit deutlich kleineren F&E-Budgets als internationale Tech-Giganten richtet das Land seinen KI-Einsatz gezielt auf gesellschaftlich relevante Probleme, bspw. durch automatisierte Diagnostik im Gesundheitswesen oder effizientere Ressourcennutzung im Naturschutz. Diese Form von technologischem Pragmatismus ist nachahmenswert.
Gute Portion Optimismus: In der globalen KI-Debatte bringt Kenia eine Haltung ein, die oft fehlt: einen nüchternen, zugleich zukunftsgewandten Blick. Das Land setzt auf KI, nicht naiv, sondern mit einem Bewusstsein für Risiken und der Bereitschaft zur Kurskorrektur. Für andere Länder, ob im globalen Süden oder Norden, bietet Kenia ein ermutigendes Beispiel, wie KI lokal wirksam und ethisch fundiert gestaltet werden kann. Digitale Souveränität beginnt nicht mit großen Ankündigungen, sondern mit konsequenter Umsetzung, Partnerschaften und einer klaren Vorstellung davon, was Technologie leisten soll. In Kenia ist dieser Weg eingeschlagen. Und wer die KI-Revolution ernst nimmt, sollte genauer hinsehen: auf die „Silicon Savannah“.
AI Around the World ist eine Reihe von PANTA. In jeder Ausgabe werfen wir einen genaueren Blick auf ein Land: Wie wird Künstliche Intelligenz dort verstanden, gefördert, reguliert und genutzt? Wir erzählen Geschichten über Technologie und Gesellschaft, über politische Strategien und praktische Anwendungen. Nicht aus der Vogelperspektive, sondern aus der Nähe. Denn wer Künstliche Intelligenz wirklich ernst nimmt, muss global denken und lokal verstehen.