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Kanada und die KI-Frage: Vorsprung oder verlorene Chance?

  • Autorenbild: Arian Okhovat Alavian
    Arian Okhovat Alavian
  • 29. Sept.
  • 18 Min. Lesezeit

Nächster Halt unserer AI Around the World Reihe: Kanada. Ein Land, das die Deep-Learning-Revolution mit angestoßen hat. Doch gelingt es, diesen Vorsprung in eine dauerhafte Führungsrolle im KI-Zeitalter zu übersetzen? Zwischen Spitzenforschung in Montreal, Toronto und Edmonton, Debatten über Ethik und dem Abwandern von Talenten zeigt sich Kanadas KI-Geschichte als Mischung aus großen Ambitionen und harten Realitäten. Wie geht das Land der Pioniere Geoffrey Hinton und Yoshua Bengio heute mit dem globalen KI-Wettlauf um? Und welche Lehren lassen sich daraus für andere Länder ziehen, die zwischen Chancen und Risiken der Technologie navigieren müssen?


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Überblick: Kanada und KI


  • Pioniere: Heimat zentraler Durchbrüche im Deep Learning. Geoffrey Hinton und Yoshua Bengio (beide in Kanada tätig) erhielten 2018 den Turing Award für ihre Arbeit an neuronalen Netzen.

  • Frühe Strategie: Erstes Land weltweit mit einer nationalen KI-Strategie (2017). Start mit 125 Mio. CAD. 2022 folgte Phase zwei mit zusätzlichen 443 Mio. CAD für Kommerzialisierung und verantwortungsvolle Nutzung.

  • Forschungszentren: Drei große Institute prägen das Ökosystem: Mila (Montreal), Vector Institute (Toronto) und Amii (Edmonton). Seit 2017 wurden über 100 führende Köpfe als CIFAR AI Chairs nach Kanada geholt, die wiederum zahlreiche Doktoranden und Postdocs ausbilden.

  • Globale Position: 2022 flossen 8,6 Mrd. CAD Risikokapital in kanadische KI-Firmen. Unter den G7-Staaten lag Kanada damit pro Kopf hinter den USA und Großbritannien.

  • Startup-Szene: Über 600 KI-Startups (laut Deloitte rund 670) von Unternehmenssoftware über Fintech bis Biotech. Investoreninteresse bleibt hoch: Tenstorrent (KI-Chips) sammelte bis Ende 2024 rund 700 Mio. USD, Cohere (LLMs) erhielt Mitte 2025 500 Mio. USD, Waabi (autonomes Fahren) Mitte 2024 275 Mio. CAD.

  • Regulierung & Ethik: Mit dem geplanten Artificial Intelligence and Data Act (AIDA) wollte Kanada Hochrisiko-Systeme regulieren, flankiert von strengen Datenschutzgesetzen. 2021 erklärte der Datenschutzbeauftragte den Einsatz von Clearview AI durch die Polizei für illegal - ein klares Signal für Grundrechte.

  • Zentrale Herausforderung: Brain Drain vs. Brain Gain. Kanada bildet Top-Talente aus, doch US-Tech-Konzerne locken mit besseren Gehältern. Zwar holen Programme wie die AI Chairs internationale Forscher ins Land, doch den Nachwuchs langfristig zu halten bleibt schwierig.


Von den Wurzeln des Deep Learning zur nationalen KI-Strategie


Kanadas Einfluss auf die KI reicht Jahrzehnte zurück, lange vor dem aktuellen Boom. In den 1980er- und 90er-Jahren setzten Universitäten und Förderinstitutionen dort auf neuronale Netze, als das Thema international kaum Beachtung fand. 1987 zog der in Großbritannien geborene Forscher Geoffrey Hinton nach Toronto. Er schätzte Kanadas Unterstützung für Grundlagenforschung und seine Distanz zur US-amerikanischen, militärisch geprägten Finanzierung. Hinton schloss sich dem Canadian Institute for Advanced Research (CIFAR) an. Zusammen mit Yoshua Bengio in Montreal und Richard Sutton in Alberta hielt er das Feld durch die sogenannten KI-Winter hindurch am Leben. CIFARs langfristige Förderung, etwa das 2004 gestartete Neural-Computation-Programm unter Hintons Leitung, verschaffte den Forschern Freiräume, die anderswo kaum existierten. Der Durchbruch kam 2012: Hinton und seine Studenten revolutionierten die Bildverarbeitung, gewannen einen internationalen Wettbewerb und läuteten damit das moderne Deep Learning ein. Das berühmte AlexNet-Ergebnis setzte Kanada auf die KI-Weltkarte und ebnete den Weg für Anwendungen wie ChatGPT.


Auf dieser Basis veröffentlichte Kanada 2017 als erstes Land weltweit eine nationale KI-Strategie. Mit zunächst 125 Millionen CAD sollte das Land als globaler KI-Standort gefestigt werden. Im Mittelpunkt standen Talente und Forschung.

Die Strategie finanzierte den Aufbau von drei Instituten: dem Vector Institute in Toronto, Mila in Montreal und Amii in Edmonton. Damit entstanden Forschungszentren quer durchs Land. Ziel war es, Spitzenkräfte zu gewinnen und zu halten. Mehr als 100 führende Wissenschaftler, etwa die Hälfte aus dem Ausland, kamen seither über Forschungsprofessuren und Stipendien nach Kanada. Für ein Land mit rund 41 Millionen Einwohnern ein bemerkenswerter Schritt. Jahrzehnte kontinuierlicher Förderung hatten schon zuvor viele Pioniere angezogen. Nun sollte ein nationaler Plan diesen Vorteil systematisch ausbauen.


Fünf Jahre später, 2022, startete Phase 2 der Strategie mit noch größerer Reichweite. 443 Millionen CAD aus Bundesmitteln flossen in Programme, die die Brücke schlagen sollten zwischen Spitzenforschung und praktischer Anwendung. Gemeint waren stärkere Förderung von Startups, neue Partnerschaften mit der Industrie und konkrete Projekte für den Transfer. Die Regierung arbeitete zudem mit dem Standards Council of Canada an globalen Normen, um Werte wie Fairness und Vielfalt in der KI-Entwicklung zu verankern. Mitte der 2020er-Jahre verwiesen die kanadische Regierung stolz auf eine Top-5-Platzierung im Stanford Global AI Index und die erfolgreiche Anwerbung internationaler Experten. Inzwischen ist das Ranking allerdings gesunken.


Die zentrale Frage bleibt: Kann Kanada seinen Forschungsvorsprung in wirtschaftliche und gesellschaftliche Vorteile übersetzen, oder profitieren am Ende andere? Genau darum dreht sich die Debatte. Cam Linke, Leiter von Amii in Edmonton, brachte es auf den Punkt: Es ist die klassische kanadische Herausforderung, Technologien mitzuentwickeln, deren kommerzieller Erfolg dann aber anderswo entsteht. Kanada will nicht nur die Köpfe stellen. Es will auch ein Stück vom Geschäft.


Forschung und Talente: Weltklasse-Labore in einem überschaubaren Markt


Kanada spielt in der KI-Forschung weit über seine Größe hinaus. Die drei Institute, Vector, Mila und Amii, wirken wie Magneten für Talente und haben lebendige Wissenschafts-Communities aufgebaut. Montreal, oft als “Silicon Valley des Nordens” bezeichnet, ist die Heimat von Mila unter Leitung von Yoshua Bengio. Hier haben sich auch zahlreiche Tech-Konzerne mit eigenen KI-Labs niedergelassen. Das Vector Institute in Toronto wurde 2017 mit Unterstützung der Provinz Ontario und der Industrie gegründet, mitinitiiert von Geoffrey Hinton. Es gilt als Knotenpunkt für KI in Bereichen wie Finanzen und Gesundheit. In Edmonton stützt sich Amii auf die Stärke der University of Alberta in Reinforcement Learning, maßgeblich geprägt von Rich Sutton, und verankert KI-Innovation im Westen des Landes.


Diese Zentren stehen für wegweisende Forschung, von Grundlagen in Machine Learning bis zu Anwendungen in Medizin, Landwirtschaft und Klima. Gleichzeitig bringen sie kontinuierlich hochqualifizierte Absolventen hervor. Das zeigt, dass Kanadas Strategie zumindest für die nächste Generation Wirkung entfaltet.


Das Problem der Abwanderung ist damit aber nicht gelöst. Viele Spitzenkräfte wurden von US-Konzernen mit pralleren Budgets abgeworben. In den letzten zehn Jahren haben Google, Facebook (Meta), Microsoft und andere massiv kanadische Experten und Startups aufgekauft. Geoffrey Hinton selbst pendelte lange zwischen der University of Toronto und Google, bis er 2023 seinen Rücktritt erklärte. Aus Sorge über die Risiken der Technologie. Das einst gefeierte Startup Element AI, von Bengio in Montreal mitgegründet, wurde 2020 an das US-Unternehmen ServiceNow verkauft. Ein Großteil des Teams arbeitet seither unter ausländischer Flagge. Auch das Chip-Design-Unternehmen Tenstorrent aus Toronto betonte zwar, in Kanada bleiben zu wollen, holte sich aber entscheidende Investitionen und Partnerschaften aus den USA, um gegen Nvidia bestehen zu können. Solche Beispiele zeigen ein Muster: Kanada bringt Ideen und Talente hervor, die ihr Wachstum oft anderswo erleben.


Die Regierung kennt dieses Spannungsfeld. Sie verstärkte Programme zur Bindung von Forschern, erweiterte die Canada CIFAR AI Chairs und schuf Visa-Möglichkeiten, um internationale Experten zu gewinnen.

2023 stammte bereits mehr als die Hälfte der Chair-Inhaber aus dem Ausland. Ein Erfolg in Sachen Brain Gain.

Entscheidend wird sein, sie langfristig zu halten und in Kanada genug attraktive Jobs zu schaffen, damit nicht Kalifornien oder Seattle als nächste Station locken.


Ein Vorteil Kanadas liegt in Lebensqualität und Werten. Forscher wie Hinton nennen das Sozialsystem und die Offenheit des Landes als Grund, ihre Karriere dort aufzubauen. Die einwanderungsfreundliche Politik erleichtert es, Talente weltweit anzuziehen, etwa über das Global Talent Stream-Visum. Zudem hat Kanada ein Profil als Vorreiter in „verantwortungsvoller KI“ entwickelt. Bengio und andere haben früh Leitlinien angestoßen, wie die Montreal Declaration for Responsible AI von 2018. Diese Haltung prägt das Forschungsumfeld: ambitioniert, aber nicht blind für Risiken. Valérie Pisano, CEO von Mila, kritisierte etwa, dass Kanada beim Thema Sicherheit zu sehr auf andere schiele, und plädiert für einen eigenen, stärker menschenzentrierten Kurs.


Unterm Strich ist Kanadas Talentrechnung eine Mischung aus großen Stärken und bleibenden Schwächen. Das Land hat im Forschungsbereich viel erreicht, baut Nachwuchs auf und zieht internationale Spitzenkräfte an. Doch den Schritt von der wissenschaftlichen Exzellenz hin zu globalen Tech-Erfolgen hat es noch nicht geschafft.


Eine KI-Wirtschaft entsteht: Startups, Konzerne und Kapital


Kanadas akademische Erfolge in der KI sind unbestritten. Doch entscheidend ist, ob daraus auch eine tragfähige Wirtschaft entsteht. Der Weg ist nicht geradlinig, aber er zeigt nach vorn. In den letzten Jahren hat das Startup-Ökosystem im Bereich KI spürbar Fahrt aufgenommen. Mehr Risikokapital, erste internationale Erfolgsgeschichten.


Generative KI und Sprachmodelle: Ein Beispiel ist Cohere aus Toronto. Gegründet von ehemaligen Google-Brain-Forschern, entwickelt das Unternehmen große Sprachmodelle, ähnlich wie OpenAI. 2025 sammelte Cohere 500 Millionen US-Dollar ein, die bislang größte Runde für ein kanadisches KI-Startup. Cohere will seine Modelle für Anwendungen von Chatbots bis hin zu Unternehmenssoftware nutzen. Damit tritt das Unternehmen direkt gegen US-Giganten an. Ebenfalls aus Toronto stammt Ideogram, das an generativer Bild-KI arbeitet. Über konkrete Summen gibt es bislang nur Berichte, bestätigt ist wenig.

Autonomes Fahren und Robotik: In Toronto entwickelt Waabi, gegründet von der Professorin Raquel Urtasun, KI für den Gütertransport. Nach einer Serie A über 83,5 Millionen US-Dollar im Jahr 2021 folgte 2024 eine Serie B mit 200 Millionen US-Dollar. In Edmonton wiederum trat 2024 das Startup Artificial Agency auf den Plan. Ehemalige DeepMind-Forscher gründeten es, um generative KI auf Videospielcharaktere anzuwenden. Mit 16 Millionen US-DollarStartkapital und einer bewusst großen Vision brachen sie mit dem oft vorsichtigen Stil kanadischer Gründer.


Chips und Hardware: Auch in der Hardware-Sparte gibt es Bewegung. Tenstorrent, ebenfalls in Toronto, entwickelt Beschleuniger für KI. Geführt von einem ehemaligen AMD-Architekten und unterstützt von Größen wie Jim Keller, sammelte das Unternehmen insgesamt über 1,1 Milliarden US-Dollar ein. Die größte Runde kam Ende 2024 mit 693 Millionen US-Dollar. Forschung findet sowohl in Kanada als auch in den USA statt. Dass Kanada in dieser Schlüsseltechnologie mitspielt, finde ich tatsächlich bemerkenswert.

Enterprise-KI und weitere Felder: Auch in Fintech, Supply Chain und E-Commerce sind KI-Firmen aktiv. Element AIin Montreal galt als Pionier, bis es 2020 von ServiceNow übernommen wurde. Borealis AI, die Forschungseinheit der Royal Bank of Canada, betreibt Labore in mehreren Städten. Firmen wie Kinaxis aus Ottawa oder Shopify setzen KI gezielt in ihren Produkten ein.


Kapitaltrends: Risikokapital für KI in Kanada erreichte zuletzt Rekordwerte. Fonds wie Radical Ventures legten 2024 einen neuen Fonds über 800 Millionen US-Dollar auf, nach 550 Millionen im Jahr davor. Neue Player wie Intrepid Growth Partners oder Defined Capital verstärken den Fokus auf KI. Das bedeutet mehr Kapital im Land selbst. Anders als früher, als Gründer fast zwangsläufig nach Kalifornien mussten. Wie Cohere-Mitgründer Nick Frosst 2024 betonte: Der Trend der Abwanderung beginnt sich zu drehen.


Multinationale Konzerne: Auch die Großen haben Kanada für sich entdeckt. Google eröffnete 2017 nach der Übernahme von Maluuba ein Forschungszentrum in Montreal. DeepMind wählte Edmonton für sein erstes internationales Labor. Meta betreibt ein KI-Lab in Montreal, Microsoft investierte in das Vector Institute, Huawei forschte in Toronto und Edmonton. Diese Präsenz bringt Geld und Jobs, birgt aber auch Risiken: Wertschöpfung wandert oft ins Ausland. Die Regierung versucht gegenzusteuern, etwa durch Auflagen, dass Konzerne auch in Universitätsprogramme investieren.


Trotz dieser Dynamik bleibt Kanada im globalen Vergleich klein. 2023 etwa sammelten alle kanadischen KI-Startups zusammen ca. 2,2 Milliarden CAD ein. Weniger als ein Viertel dessen, was Amazon allein in die US-Firma Anthropic investierte. Auch der größte kanadische KI-Fonds (Radicals 800 Millionen) wirkt im Vergleich zu Milliardenfonds in den USA oder Asien bescheiden. Die Folge: Kanadische Firmen müssen fokussierter arbeiten, Nischen finden oder internationale Partnerschaften eingehen. Viele Experten plädieren dafür, klare Schwerpunkte zu setzen, etwa bei KI-Sicherheit oder in Anwendungsfeldern wie Gesundheit und Klima.


Am Ende zeigt sich: In weniger als zehn Jahren ist aus ein paar Forschungszentren ein Ökosystem aus Startups, Investoren und Konzernlaboren geworden. Die Stimmung ist heute selbstbewusster, ambitionierter. Doch die Branche ist jung und steht im harten Wettbewerb. Ob Kanada vom Werkbank-Image wegkommt und eine eigenständige KI-Innovationswirtschaft aufbaut, bleibt die zentrale Frage.


KI in der Praxis: Beispiele aus Kanada


Strategien und Investitionen sind das eine. Spannender ist die Frage, was KI in Kanada konkret bewirkt. Die Beispiele zeigen: Sie wird oft dort eingesetzt, wo das Land besondere Stärken oder spezifische Bedürfnisse hat: in Gesundheit, Datenanalyse und öffentlichen Diensten.


Gesundheit und Sicherheit: Ein bekanntes Beispiel kam zu Beginn der COVID-19-Pandemie. Ende 2019 entdeckte das Startup BlueDot in Toronto mit einem KI-basierten Überwachungssystem eine Häufung ungewöhnlicher Lungenentzündungen in Wuhan. Tage bevor die WHO Alarm schlug. Das System analysiert Nachrichten, Flugdaten und Netzwerke von Infektionskrankheiten und markiert Auffälligkeiten. Inzwischen testen kanadische Behörden ähnliche Werkzeuge, um Ausbrüche wie Grippe oder Corona-Varianten früh zu erkennen.


Medizinische Anwendungen: Das öffentliche Gesundheitssystem Kanadas erzeugt riesige Datenmengen. KI hilft zunehmend, diese nutzbar zu machen. In Kliniken in Toronto, Montreal und Vancouver unterstützen KI-Modelle Ärzte bei der Krebsdiagnose, sagen Therapieerfolge voraus oder beantworten Standardfragen von Patienten. Am University Health Network in Toronto entwickelten Forscher ein Modell, das Tumorreaktionen vorhersagen kann. In Montreal arbeitet Imagia (heute Teil von Tempus) an Bilddiagnostik. Während der Pandemie wurden Systeme gebaut, die Triage und Intensivkapazitäten steuern sollten. Erste Tests zeigen auch höhere Genauigkeit bei Hautkrebs oder Augenerkrankungen. Die Hoffnung: Mit KI lässt sich das überlastete System entlasten besonders in Regionen mit wenig Fachärzten, etwa in indigenen Gemeinden.


Finanzen und Service: Banken wie die Royal Bank of Canada (RBC), TD oder Scotiabank gehören zu den frühen Anwendern. Sie setzen Machine Learning ein, um Betrug in Echtzeit zu erkennen oder Risiken besser zu modellieren.

RBC integrierte einen digitalen Assistenten in seine App: NOMI analysiert Ausgaben und gibt Budgettipps. Laut Bank führte das zu deutlich mehr App-Nutzung.

Auch Chatbots und automatisierte Prozesse im Hintergrund sind weit verbreitet. Fintechs wie Wealthsimple nutzen KI für automatisierte Anlageberatung.

Ressourcen und Klima: In einem rohstoffreichen Land liegt der Einsatz nahe. In Alberta überwachen KI-Systeme Pipelines und Raffinerien, erkennen Defekte früh und verhindern Ausfälle. In der Landwirtschaft nutzen Startups Satellitenbilder und Sensoren, um Erträge zu optimieren oder Krankheiten zu erkennen. Fischerei- und Forstbehörden testen Modelle zur Vorhersage von Beständen oder Waldbränden. Der Wetterdienst setzt KI ein, um Prognosen im Norden zu verbessern und Klimafolgen zu modellieren.


Städte und Verkehr: Montreal erprobt smarte Ampeln, die Verkehr in Echtzeit steuern. Toronto plante mit Sidewalk Labs ein groß angelegtes Smart-City-Projekt. Es scheiterte an Datenschutzbedenken. Kleinere Projekte laufen weiter, etwa KI-gestützte Analysen von Verkehrsrisiken. Vancouver nutzt Algorithmen zur Wartung von Bussen. Polizeibehörden testeten KI für Video- und Social-Media-Analysen. Doch solche Projekte stießen schnell auf Kritik. Zivilgesellschaftliche Gruppen warnten vor Bias und Eingriffen in die Privatsphäre. Mehrere Vorhaben wurden gestoppt. Die Lektion: Kanadische Gesellschaft reagiert sensibel auf übergriffige Technologien.


Indigene Sprachen: Ein hoffnungsvolles Feld ist die Unterstützung von Sprachprojekten. Forscher arbeiten mit indigenen Gemeinschaften an KI-gestützten Lern- und Übersetzungswerkzeugen für Ojibwe, Inuktitut oder Cree. Trainiert mit Archivmaterial und Sprachaufnahmen sollen Systeme entstehen, die Spracherhalt fördern - vielleicht sogar Sprachassistenten in indigenen Sprachen ermöglichen. Zentral bleibt dabei die Datenhoheit: Die Prinzipien von Ownership, Control, Access und Possession (OCAP) sind Leitlinie.


Aus diesen Beispielen ergibt sich ein Bild: KI in Kanada ist konkret und nah an den Menschen. Mal entlastet sie Ärzte, mal optimiert sie Felder, mal provoziert sie Debatten über Grenzen und Ethik. Nicht jedes Projekt gelingt. Ein Versuch mit Predictive Policing wurde etwa gestoppt, nachdem rassistische Verzerrungen sichtbar wurden. Aber auch solche Rückschläge haben Wert: Sie führen zu öffentlicher Diskussion, in die Zivilgesellschaft, Datenschützer und NGOs aktiv eingebunden sind.


Unterm Strich zeigt sich: Kanadische KI ist mehr als ein Laborprojekt. Sie wirkt im Alltag, sorgt für Verbesserungen und stößt gleichzeitig Debatten an. Und sie folgt oft einem Leitmotiv, das zum Land passt. Ein Nutzen für die Gesellschaft, auch wenn das den Weg manchmal langsamer macht.


Governance und Politik: Innovation im Gleichgewicht mit Rechten


Kanada versteht sich bei der Regulierung von KI als menschzentrierter Mittler. Weder zu locker noch zu streng, sondern auf der Suche nach einem Mittelweg. Die Bundesregierung setzt bisher auf eine Mischung aus weichen Leitlinien und dem Aufbau von verbindlichen Gesetzen.


Ein früher Schritt war 2019 die Einführung des Algorithmic Impact Assessment (AIA). Bundesbehörden müssen seitdem vor dem Einsatz von KI-Fragebögen ausfüllen, die Risiken wie Bias, Transparenz oder menschliche Kontrolle bewerten. Kanada war eines der ersten Länder mit einer solchen Pflicht. Die EU hat ähnliche Ansätze in ihrem AI Act aufgegriffen. Zusätzlich veröffentlichte das Treasury Board Richtlinien zur verantwortungsvollen Nutzung, etwa die Algorithmic Accountability Directive.


Die große Neuerung zeichnet sich mit dem Artificial Intelligence and Data Act (AIDA) ab. Vorgestellt 2022 als Teil von Bill C-27, wäre es das erste spezifische KI-Gesetz Kanadas. Im Entwurf liegt der Fokus auf hochwirksamen Systemen, die Rechte oder Sicherheit stark betreffen können. Vorgesehen sind Risikoprüfungen, Maßnahmen zur Minderung, Aufsicht und Strafen bei Verstößen. Eine neue Behörde könnte entstehen, um Systeme zu auditieren. AIDA betont ausdrücklich den Bezug zu Menschenrechten und Inklusion. Dazu zählen Anforderungen, algorithmische Diskriminierung zu verhindern. Tatsächlich wurde das Gesetz so jedoch nicht verabschiedet von der neuen Regierung.


Parallel wird auch das Datenschutzrecht erneuert. Die alte PIPEDA soll durch das Consumer Privacy Protection Actersetzt werden. Ziel ist mehr individuelle Kontrolle über Daten. Datenschutzbehörden haben schon bewiesen, dass sie durchgreifen: 2021 erklärte der kanadische Kommissar den Einsatz von Clearview AI für rechtswidrig. Auch die Bundespolizei RCMP verstieß mit der Nutzung gegen das Privacy Act. Die Folge: Clearview zog sich zurück. Provinzen wie Quebec und B.C. gingen ebenfalls strikt gegen unrechtmäßige Biometrie vor. Damit ist klar, dass Massenüberwachung in Kanada kaum Chancen hat.


International ist Kanada Mitbegründer der Global Partnership on AI (GPAI) und beherbergt eins der Zentren in Montreal. Es arbeitet aktiv in den OECD-Gremien und half 2019 bei den OECD AI Principles, die später G7 und EU beeinflussten. Kanada sieht sich nicht als Supermacht, sondern setzt auf Kooperation. Ziel: faire Spielregeln, globale Standards, Menschenrechte.


Ein besonderes Merkmal ist die Einbindung vieler Akteure. Nicht nur Regierung und Industrie, sondern auch Wissenschaft, Zivilgesellschaft und indigene Gruppen. Die Pan-Canadian AI Strategy wird vom Canadian Institute for Advanced Research (CIFAR) umgesetzt, das Fachleute und Community-Leader zusammenbringt. Forschende, die über das Programm gefördert werden, müssen Schulungen zu indigenen Perspektiven absolvieren. Hintergrund ist die Sorge vor einer neuen Form von digitalem Kolonialismus. Deshalb gewinnen Prinzipien wie OCAP (Ownership, Control, Access, Possession) Gewicht. Ob AIDA diese Fragen ernsthaft integriert, ist offen. Dass sie überhaupt diskutiert werden, macht Kanada jedoch besonders.


Stark sind auch die zivilgesellschaftlichen Stimmen. Das Montreal AI Ethics Institute liefert Input für Politik. Think Tanks wie Centre for International Governance Innovation (CIGI) oder das Brookfield Institute forschen zu gesellschaftlichen Auswirkungen.

Amnesty International Canada und Access Now halfen 2018 bei der Toronto Declaration, die Menschenrechte in den Mittelpunkt von Machine Learning stellt.

Zudem berät ein Regierungsrat für KI, in dem neben Yoshua Bengio auch Wirtschaftsvertreter sitzen.


Insgesamt verfolgt Kanada einen prinzipiengetriebenen Ansatz. Innovation soll ermöglicht werden, gleichzeitig muss das Vertrauen der Öffentlichkeit gewahrt bleiben. Das ist ein Balanceakt. Gewerkschaften und Bürgergruppen melden sich lauter zu Wort, wenn es um Jobs und Privatsphäre geht. Politik und Behörden werden beweisen müssen, dass Regeln nicht nur auf dem Papier stehen.


Die offenen Fragen sind konkret: Werden Unternehmen wirklich Bias-Audits durchführen? Wird es externe Kontrollen geben? Wie greifen die neuen KI-Behörden mit bestehenden Datenschutz- und Menschenrechtsinstitutionen ineinander? Antworten gibt es noch nicht. Aber Kanadas Basis aus starken Datenschutzgesetzen, Menschenrechtsnormen und einer früh eingeführten KI-Strategie gibt gute Voraussetzungen. Wenn das Land den Spagat schafft, könnte es ein Modell liefern, das zeigt: Auch ein Mittelstaat kann eine Stimme in der globalen KI-Regulierung sein.


Herausforderungen und Risiken: Stolpersteine auf Kanadas Weg


Trotz aller Erfolge steht Kanada vor deutlichen Problemen. Strukturelle Schwächen der Wirtschaft, harter globaler Wettbewerb und die Gefahr, dass Strategien auf dem Papier bleiben.


Kommerzialisierung: Oft heißt es, Kanada sei stark in der Forschung, aber schwach bei der Umsetzung in große Unternehmen. Es gibt nur wenige eigene Tech-Giganten. Viele Startups werden früh von US- oder internationalen Konzernen übernommen. Damit verliert Kanada Jobs, Patente und Marktanteile. Die zweite Phase der KI-Strategie setzt deshalb auf Kommerzialisierung. Kritiker verweisen aber darauf, dass Kanadas Milliardenprogramme klein wirken im Vergleich zu den Budgets der USA, Chinas oder der EU. Goldman Sachs schätzt, dass weltweit bis 2028 über 1 Billion US-Dollar in KI fließen. Kanadas Anteil daran ist minimal. Um mitzuhalten, muss das Land Schwerpunkte setzen. Etwa im Gesundheitswesen oder beim Ressourcenmanagement. Manche fordern eine „National-Champion“-Strategie, andere eine breite Startup-Förderung. Entscheidend ist die Umsetzung. Ob Programme wirklich zu Produkten führen, die global skalieren, wird sich in den nächsten Jahren zeigen.


Talente: Junge Absolventen bleiben häufiger im Land, doch erfahrene Fachkräfte zieht es oft in die USA oder nach China. Dort locken höhere Gehälter und Projekte mit Milliarden Nutzern. Kanada läuft Gefahr einer „Brain Drain 2.0“, vor allem im Bereich generative KI, wo US-Labs wie OpenAI oder Google DeepMind dominieren. Die Regierung setzt auf Anreize: Forschungszentren mit guter Ausstattung, Förderprogramme für Doktoranden, Visa-Regeln für internationale Experten. Mentoren wie Hinton und Bengio halten die Community zusammen. Aber ob das reicht, damit die nächste Generation dauerhaft in Kanada bleibt, ist offen.


Infrastruktur: Moderne KI braucht Rechenleistung und Daten in riesigem Maßstab. Hier ist Kanada im Nachteil. Die Regierung stellte 40 Millionen CAD für akademisches Rechnen bereit. Im Vergleich zu zweistelligen Milliardeninvestitionen in den USA ist das wenig. Es fehlt ein eigener Cloud-Anbieter in der Größenordnung von AWS oder Azure. Kanadische Firmen sind abhängig von ausländischen Plattformen. Geplante Rechenzentren, auch mit Quantencomputing-Hub, stoßen auf Kritik: zu spät, zu klein, oft mit US-Technik. Ohne bezahlbare Rechenleistung im Land könnten Firmen abwandern. Experten fordern deshalb mehr Investitionen in Infrastruktur, nicht nur Hardware, auch Datennetze und 5G. In ländlichen Regionen ist die Versorgung bis heute schwach. Das bremst Anwendungen wie Telemedizin. Kurz: Ohne Infrastruktur lässt sich KI nicht skalieren.


Vertrauen und Ethik: Technologie allein reicht nicht. Gesellschaftliche Akzeptanz ist entscheidend. Die Ablehnung des Sidewalk-Labs-Projekts in Toronto 2020 hat gezeigt, dass Kanadier misstrauisch werden, wenn Datenkontrolle fehlt. Ähnlich sensibel reagieren sie auf KI in der Polizei. Bürgergruppen fordern Transparenz, externe Audits und Schutz vor Diskriminierung. In einem Land, das auf Multikulturalismus setzt, müssen Systeme fair gegenüber Minderheiten und indigenen Gruppen funktionieren. Der Einbezug indigener Datenrechte bleibt eine offene Aufgabe. Gelingt es, könnte Kanada hier Vorreiter werden. Misslingt es, droht eine Vertiefung historischer Ungleichheiten.


Geopolitik: Kanada ist stark vernetzt, gerät aber zwischen die Fronten. Exportkontrollen der USA gegenüber China betreffen auch kanadische Forscher. Der Streit um Huawei nach 2018 belastete Kooperationen. Offene Forschung ist eine Stärke, doch im Machtkampf zwischen Supermächten auch ein Risiko. Kanada muss seine Versorgung mit Chips und Talenten absichern, während es zugleich für internationale Regeln wirbt. Auch im Militär stellt sich die Frage, wie KI genutzt wird. Bisher setzt das Land eher auf Vorsicht, etwa beim Verbot autonomer Waffen.


Kanadas Vorteil: Die Probleme werden offen benannt. Es gibt wenig Illusionen, dass man den Wettlauf mit Geld gewinnen könnte. Realismus und Kooperation könnten zum Schlüssel werden. Ob durch Allianzen mit ähnlichen Ländern oder durch gezielte Nischenstrategien. Die Frage ist, ob Kanadas KI-Geschichte am Ende als unvollendetes Potenzialerinnert wird oder als Beispiel dafür, dass auch ein kleineres Land große Wirkung entfalten kann.


Die nächsten 6 bis 12 Monate: Worauf es ankommt


Das kommende Jahr wird entscheidend für Kanadas KI-Landschaft. Mehrere Entwicklungen laufen zusammen.


Gesetzgebung: Stand September 2025 gibt es kein bindendes KI-Gesetz. Der Artificial Intelligence and Data Act(AIDA), zentraler Baustein von Ottawas Plänen, ist Anfang 2025 mit der Parlamentsauflösung gescheitert und bisher nicht neu eingebracht. Damit bleibt Kanada bei freiwilligen Verhaltenskodizes und sektorspezifischen Regeln. Die offenen Fragen sind groß: Wird eine künftige Regierung AIDA in neuer Form zurückbringen oder einen anderen Ansatz wählen? Wie genau „hochwirksame“ KI definiert wird und ob umstrittene Anwendungen wie Gesichtserkennung in Echtzeit oder Social Scoring verboten werden, ist unklar. Auch die Durchsetzung ist offen. Frühere Entwürfe sprachen von einem starken KI-Kommissar. Mit dem Ende des Gesetzes bleibt aber unklar, wer Aufsicht führen würde. Firmen orientieren sich derweil an internationalen Standards, vor allem an der Europäischen Union, und bereiten sich auf künftige Audits vor. Ohne einheitliches Gesetz droht ein Flickenteppich aus freiwilligen Kodizes, Provinzinitiativen und bestehendem Datenschutz- oder Menschenrechtsschutz.


Generative KI und Anwendung in der Wirtschaft: Seit 2022/23 probieren viele kanadische Unternehmen generative KI aus - Texte, Bilder, Code. Die Frage ist, ob daraus echte Nutzung entsteht. Banken testen Sprachmodelle für juristische Texte oder Finanzanalysen. Behörden erproben Assistenten für Verwaltungsaufgaben, wie gewünscht stets mit menschlicher Kontrolle. Startups binden Schnittstellen großer Sprachmodelle in ihre Produkte ein. Mitte 2026 wird sich zeigen, ob daraus Produktivitätsgewinne werden oder ob Bedenken zu Genauigkeit und Datenschutz die Nutzung bremsen. Ein wichtiger Indikator: wie viele Unternehmen generative KI wirklich in ihre Abläufe übernehmen. Auch die Medien- und Kreativwirtschaft in Montreal und Vancouver könnte KI stärker einsetzen, etwa in Film, Games oder für Spezialeffekte.


Große Investitionen oder Exits: Auf Unternehmensebene sind mehrere Szenarien denkbar. Startups wie Cohere oder Waabi könnten übernommen werden oder tiefe Partnerschaften mit US-Konzernen schließen. Das bringt Kapital, kostet aber Eigenständigkeit. Möglich ist auch ein Börsengang, falls die Märkte günstiger werden. Große Konzerne bauen ohnehin aus: Microsoft und Google planen offenbar, ihre Forschungsteams in Kanada zu vergrößern. OpenAI rekrutiert in Toronto. Amazon hat neue Mittel für KI-Forschung an Universitäten zugesagt. Solche Schritte können den Abfluss von Talenten bremsen, erhöhen aber auch den Wettbewerb um Fachkräfte. Im Hardwarebereich könnte die Regierung versuchen, kleinere Chipfertigungen ins Land zu holen, um unabhängiger zu werden. Und wenn eine kanadische Stadt eine große Konferenz wie The Conference and Workshop on Neural Information Processing Systems (NeurIPS) oder International Conference on Machine Learning (ICML) gewinnt, stärkt das das Profil zusätzlich.


Globale Allianzen und Sicherheit: International könnte Kanada stärker auftreten. Das Land unterstützt Initiativen zu KI-Sicherheit und war 2023 Teil der Erklärung zu existenziellen Risiken durch KI. In den nächsten Monaten könnte es eine neue Initiative bei Vereinten Nationen oder G7 anstoßen, etwa für ein globales Forschungszentrum. National läuft unter dem Canadian Institute for Advanced Research (CIFAR) ein Programm zu KI-Sicherheit, dessen erste Ergebnisse 2025 erwartet werden. Auch die Global Partnership on AI (GPAI), von denen ein Zentrum in Montreal sitzt, wird Impulse geben.


Rechenkapazitäten: Ebenfalls wichtig ist der Ausbau der Infrastruktur. Die Regierung hat 40 Millionen kanadische Dollar für eine nationale Plattform zugesagt. Ob das neue Supercomputer an Universitäten oder staatlich geförderte Cloud-Kontingente werden, ist noch offen. Wenn es gelingt, könnte das die Labore deutlich stärken. Dazu kommen mögliche Kooperationen in den globalen Lieferketten für Chips, etwa mit den USA oder der Europäischen Union. Konkrete Vereinbarungen mit Herstellern wären ein Signal, dass Kanada die Engpässe ernsthaft angeht.


Im Kern geht es in den nächsten Monaten um Umsetzung und Fokus. Kanada hat viele Pläne formuliert. Jetzt muss es zeigen, wo es Schwerpunkte setzt. Vielleicht im Gesundheitswesen, vielleicht bei Klima-Anwendungen. Ebenso entscheidend ist der Umgang mit externem Druck, etwa neuen US-Exportregeln oder europäischen Vorgaben.

Die kommenden 12 Monate werden zeigen, ob Kanada aus seinen KI-Strategien eine selbsttragende Dynamik entwickeln kann. Oder ob das Land Gefahr läuft, im globalen Wettbewerb zurückzufallen. Ein Erfolg würde ein wichtiges Signal senden: Auch ohne Supermachtstatus kann man eine Stimme haben, wenn es um die Zukunft der KI geht.


Lehren aus Kanada: Was andere Länder mitnehmen können


Kanadas Weg mit KI liefert eine Reihe von Erkenntnissen. Vor allem für mittelgroße Volkswirtschaften, die eigene Kapazitäten aufbauen und zugleich demokratische Werte bewahren wollen.


Früh in Talente und Forschung investieren: Kanada profitierte stark von frühen und kontinuierlichen Investitionen in KI-Forschung. Freiraum für Grundlagenarbeit etwa durch das Canadian Institute for Advanced Research (CIFAR) ermöglichte Durchbrüche, die größere Länder übersahen. Auch wer nicht am meisten Geld hat, kann mit kluger Talentförderung global eine Rolle spielen.


Ökosysteme aufbauen, nicht nur Elfenbeintürme: Die Pan-Canadian-Strategie setzte auf Forschungszentren in Montreal, Toronto und Edmonton. Durch die enge Verbindung von Universitäten, Startups und Konzernen entstanden Cluster, in denen Ideen fließen. Andere Länder können davon lernen: Innovationshubs lohnen sich mehr, wenn sie Forschung und Wirtschaft verbinden.


Talente halten mit Chancen, nicht nur mit Geld: Kanada hat gemerkt, dass hohe Gehälter allein nicht reichen. Was Forscher wirklich bindet, sind spannende Projekte und echte Karrierewege. Das Programm der AI Chairs hat internationale Spitzenleute angezogen. Entscheidend ist nun, ihnen Aufgaben zu geben, die Weltklasse-Niveau haben. Andere Länder können das übernehmen: nicht nur Köpfe kaufen, sondern Räume schaffen, in denen diese Köpfe wirken können.


Den letzten und wirtschaftlich betrachtet vielleicht relevantesten Schritt nicht vergessen - Kommerzialisierung:Forschung allein bringt keine wirtschaftliche Stärke. Kanada musste lernen, den Übergang von der Theorie zur Anwendung zu fördern. Programme zur Finanzierung von Startups oder zur Nutzung in traditionellen Branchen sind Teil der zweiten Strategiephase. Die Lehre: den ganzen Innovationspfad denken. Von Forschung über Startups bis zur Skalierung.


Ethik und Inklusion von Beginn an einbauen: Ein wichtiger Unterschied ist Kanadas frühe Einbindung von ethischen Fragen und vielfältigen Stimmen. Die Montreal Declaration, Datenschutzregeln und das Training zu indigenen Perspektiven für KI-Forscher sind Beispiele. Solche Schritte schaffen Vertrauen. Ein entscheidender Faktor für Akzeptanz. Offen über Risiken zu sprechen, hat Kanada geholfen, Diskussionen in konstruktive Bahnen zu lenken.


Globale Zusammenarbeit als Multiplikator: Kanada zeigt, dass internationale Kooperation Einfluss vergrößern kann. Mitinitiativen wie die Global Partnership on AI (GPAI) oder die Arbeit an OECD-Leitlinien sichern Mitsprache. Für Länder, die nicht die größten Märkte haben, ist Regelsetzung ein Weg, Wirkung zu entfalten.

Auf Stärken konzentrieren: Kanada ist kein Alleskönner, sondern baut auf Nischenvorteile. Gesundheitswesen, Ressourcenwirtschaft, mehrsprachige Bevölkerung. Dort liegen Schwerpunkte. Spezialisierung kann wirkungsvoller sein als der Versuch, in allen Feldern mitzuhalten.


Am Ende zeigt Kanadas Geschichte: KI ist mehr als Technik. Es geht um Vision, Politik und Menschen. Ein Land mit überschaubarer Größe hat sich durch Talentförderung und klare Werte auf die Landkarte gesetzt. Der Weg war nie einfach. Volatile Budgets, Brain Drain, politische Unsicherheiten. Doch die Erfahrungen belegen: Wer Strategie, Offenheit und Lernbereitschaft verbindet, kann Fortschritte erzielen.

Kanada bleibt damit ein spannendes Beispiel für eine kanadische Art von KI. Pragmatisch, inklusiv, leise ehrgeizig.

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Mich persönlich fasziniert, wie Kanada seine Schwächen nicht versteckt, sondern offen diskutiert. Das wirkt fast erfrischend in einer Welt, in der viele Länder ihre KI-Strategien nur als große Erfolgsgeschichte inszenieren. Vielleicht ist genau das die Lehre: dass ehrliches Benennen von Problemen mehr Vertrauen schafft als jedes PR-Versprechen. Für mich als Gründer zeigt sich darin ein Punkt, den wir uns auch in Europa merken sollten. Manchmal ist die nüchterne Analyse die größte Stärke, weil sie Raum für echte Lösungen öffnet.

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