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Wortkiesel im Datenstrom: Wer sammelt noch echte Steine?

  • Autorenbild: Jan Kersling
    Jan Kersling
  • 31. Juli
  • 3 Min. Lesezeit

Vor drei Jahren wurde generative KI in Form von ChatGPT für die breite Masse zugänglich gemacht. Mittlerweile lassen Millionen von Schüler:innen, Jurist:innnen, Journalist:innen und Ministerialbeamten denselben Bot ihre Fragen beantworten, ihre E-Mails diktieren, ihre Gedanken vorkochen. Verlieren wir als Gesellschaft nach und nach an Menschlichkeit, oder können wir sie vielleicht durch ein Versprechen an den bewussten Einsatz der neuen Technologie ergänzen?


Eine reale menschliche Hand streckt sich einem leuchtenden, aus bläulich schimmernden Punkten bestehenden Digital-Hologramm entgegen; die Fingerspitzen beider Hände berühren sich fast, Symbol für die Verbindung zwischen Mensch und Künstlicher Intelligenz.

 

Ich schreibe diese Zeilen ohne KI. Nicht aus Nostalgie, ich verwende den Bot täglich, sondern um mich daran zu erinnern, wie sich echte Anstrengung anfühlt: das Ringen um einen Satz, das Quietschen einer Suchmaschine, das störrische Blättern in einem Buch. Es schmerzt, aber das ist gutes Muskelbrennen. Denn wer seine geistige Kondition an die Maschine auslagert, merkt nicht, wie die eigenen Synapsen schleichend verkümmern.

 

Die symmetrischen Falten eines Ü70-jährigen, KI-generierten Werbegesichts starren mich an während ich auf die Buslinie 17 nach Hause warte. Unispiriert geschriebene Texte fluten meine For-You Page. Der KI-Hype ist angekommen und spürbar. Immer mehr Firmen fangen an die Technologie zu nutzen im Rausch, vor sich sehend die Möglichkeit des Streichens einer kompletten Abteilung, des Einsparens von einer Stange Geld. Blind gegenüber dem latenten Potential und der Möglichkeit Inauthentizität könnte ein gewinnschmälernder Faktor sein.

 

Die Schuld liegt nicht einzig und allein auf der Wirtschaft. Am Ende sind wir beides: Anbieter und Konsumenten. Wir pflastern uns nicht nur den Weg in die digitale Unmündigkeit wir beschreiten ihn auch. Nein, denn auch der Konsument muss sich an die Nase fassen. Die programmierte Bauchpinselei von ChatGPT zähmt die Penetranz der Nachfrage sowohl des scharfzüngigsten Journalisten als auch des kritischsten Lesers. Laut einer Studie des Reuters-Instituts öffnen nur zwölf Prozent der Menschen, die ihre Nachrichten via Chatbots lesen, überhaupt die Originalquelle. Es scheint also fast egal, welche Anstrengung bezüglich der Qualität in dem zu konsumierenden Inhalt steckt - solange er gefressen wird, besteht kein Handlungsbedarf.

 

Das Ergebnis? Eine ungebremste Zumüllung unserer Feeds und Internet-Umgebungen. Content-Farmen pressen stündlich tausende SEO-Texte durchs Netz, glatt wie Weißbrot, nahrhaft wie Styropor. Selbst GPT-4o - das Flaggschiff der Branche - halluziniert bei jeder fünften Fachfrage. Trotzdem pflastern wir das Internet mit diesem Wortbrei, unhinterfragt.

 

Überall dominieren jetzt maschinell erstellte Inhalte. Überall? Nein! Eine wachsende Gruppe an Inhaltsschaffenden und Konsumenten hört nicht auf Widerstand zu leisten. So positionieren sich bereits früh Online-Nachrichtenportale wie The Quint (Expert interview: Ritu Kapur) oder Technologie-Startups wie wir bei PANTA entschieden gegen die „blinde“ Verwendung von KI im Kontext der Erstellung von Inhalten. Beide verfolgen dabei den Ansatz KI nicht komplett zu verbannen, sondern so zu nutzen, dass der Mensch im Prozess unterstützt wird. So nutzt The Quint KI zur Ausmerzung faktischer Lücken und PANTA zum Bau einer unternehmensinternen Infrastruktur, um Mitarbeitenden wiederkehrende Aufgaben zu vereinfachen und Ihnen so wertvolle Kapazitäten für qualitative Arbeit zurückzugeben.

 

Ein Ansatz den ich ebenfalls entschieden propagieren möchte. Jenseits idealistischer Motive wohnt diesem Ansatz auch ein wirtschaftliches Interesse inne. Es zeichnet sich ein Paradigmenwechsel für die Nachfrageänderung ab. Chartbeat misst bereits sinkende Verweildauer auf Nachrichten-Sites. Warum verweilen, wenn alles gleich schmeckt? Wir rutschen, höflich lächelnd, in eine intellektuelle Fettleber.

 

Einundvierzig Prozent der Nutzer zahlen laut Deloitte inzwischen für handkurierte Newsletter. Substack-Abos explodieren, Podcasts florieren, in denen Menschen noch atmen und stolpern. Authentizität wird wieder Premium-Ware; Echtheit das neue Luxusleder. Im Grauschleier des KI-Einerleis leuchtet jede handgeschriebene Zeile wie Neon.

 

Rick Rubin, ein US-amerikanischer Musikproduzent und Lebenskünstler, fasst den Zweifel an dem Wert von Generiertem in einem Interview zusammen: „Ich konsumiere Kunst, weil mich die Sichtweise des Künstlers interessiert - meiner Meinung nach hat KI keine Sichtweise.“

 

Ob dieser Paradigmenwechsel so tatsächlich eintritt, oder ob die Menschlichkeit unter dem wachsenden Druck der immer besser werdenden, schweißfrei kapazitätsunbeschränkten Arbeitsleistung der KI einknickt, liegt auch in unserer Verantwortung. Auf Konsumentenseite müssen wir mehr hinterfragen und bewusster konsumieren. Auf Anbietereseite muss Generative KI als Werkzeug verstanden werden und nicht als Autopilot. Erst dann wird das Potential, was diese Technologie birgt, nachhaltig ausgeschöpft.

 
 
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